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«Ich will alleine shoppen!»

Selbstständig sein und soziale Kontakte pflegen – das sind zwei der Ziele in der therapeutischen Wohngruppe der GHG CP-Schule. Solveig Gillhausen nutzt dieses freiwillige Angebot und ist begeistert. Denn sie lernt nicht nur viel, sondern ist einmal pro Woche weg von zuhause und mit ihren Freundinnen zusammen.

«Ich gehe heute einkaufen», sagt Solveig Gillhausen beim Meeting am grossen Esstisch um 16 Uhr. Sie und ihre Gspänli sind nach Schulschluss direkt und selbstständig zur Fünfzimmerwohnung in der Nähe der St.Galler Altstadt gekommen. Das sind zehn Minuten zu Fuss oder fünf mit dem Elektrorollstuhl. Die Schülerinnen und Schüler aus der Mittel- und Oberstufe, die in der Wohngruppe übernachten, entscheiden gemeinsam, wer an diesem Abend was macht. Zum Beispiel kochen. Oder eben das Zmorge einkaufen.

Solveig ist 13 Jahre alt, durch und durch Teenager. Was sie am liebsten macht? «Kleidershopping», sagt sie und strahlt. Heute trägt sie ihren weichen, hellen Lieblingspullover mit einem Muster aus schwarzen Maschen über einem weissen Roll­kragenshirt. Dazu dunkelgraue Baggys. Fürs Foto posiert sie in diesem Outfit gern.

Entscheidungen selbst treffen

Nun gilt es aber, die Einkaufsliste zu schreiben. Solveig öffnet den Kühlschrank und diskutiert mit ihrem Betreuer, was es braucht. Joghurt, Butter und Konfi ist noch genug da, auf die Liste kommen Brot, Milch und Cornflakes. Die Jugendliche nutzt dafür die Bring-App auf dem Smartphone, das sie gekonnt mit der Nase bedient. Da sie in ihren Bewegungsabläufen stark eingeschränkt ist, hat Solveig Alternativen gelernt, damit sie im Alltag gut zurechtkommt. Der Elektrorollstuhl mit einer Halterung fürs Handy hilft ebenfalls. Trotzdem weiss die Schülerin, dass sie ihr Leben lang eine Assistenz brauchen wird. Was sie nicht abschreckt. «Im Büro arbeiten oder studieren», sagt sie auf die Frage, was sie später machen möchte.

Bernhard Moser unterstützt die Jugendliche als Bezugsperson dabei, ihre Ziele zu erreichen. «Solveig ist intelligent und aktuell Klassenbeste in Mathe», erzählt er. «Und ich kenne einen Fall eines jungen Mannes mit Zerebralparase, der an der ETH Zürich studiert – mit einer Assistenz­person, die für ihn aufschreibt. Das könnte Solveig eventuell auch erreichen.»

Beim Einkaufen blüht Solveig Gillhausen auf – egal ob im Kleiderladen oder im Lebensmittelgeschäft.

Einkaufen in Eigenregie

Für Solveig geht es jetzt aber ums Praktische. Bernhard Moser begleitet sie dieses Mal. Zusammen berechnen sie, wieviel Geld sie für den Einkauf benötigen. «Sollen wir den Self-Check-Out probieren?», fragt der Betreuer. «Au ja», antwortet Solveig freudestrahlend. Draussen düst Solveig mit ihrem Elektroroll­­­stuhl voraus. Im Strassenverkehr fühlt sie sich sicher und den Weg zum Laden kennt sie in- und auswendig. Sie weiss, dass sie, wenn sie das später allein macht, im Supermarkt Hilfe von einer dort angestellten Person bekommen kann. Dieses Mal ist die Liste schnell abgearbeitet. Die Produkte an der Kasse selbstständig über den Scanner zu ziehen, das geht noch nicht allein, das Zahlen mit Karte aber funktioniert auf Anhieb.

«Ich möchte später im Büro arbeiten oder studieren.»

Den Schulweg allein meistern

Dieser und weitere grosse Schritte auf dem Weg in die Selbstständigkeit darf Solveig aktuell oft feiern: In zwei Tagen wird sie zum ersten Mal ihren Schulweg ganz allein bewältigen. Mit dem Zug von Lütisburg nach St.Gallen, inklusive Umsteigen in Flawil. Daran zu denken, macht sie etwas nervös. Aber sie hat eine unbändige Motivation: Gelingt auch das, kriegt sie im Sommer ein ÖV-Abo. Und kann in der Freizeit tun, was sie möchte: «In die Stadt zum Shoppen. Oder Freundinnen treffen.»